Lateinamerikanische Tänze im Salon del Norte in Bremen-Nord

Tango ist ein lebenslanger Weg

Robert Goldberg

Heute Abend sind wieder sechs Paare da, sie kennen sich teils lange, doch sie sind zunächst nur für sich. Sie haben vielleicht auch keinen Blick mehr für den wunderschönen Saal, ein wenig Wiener Oper, der zum Tanzen verführt: Die Decke in Pastell und Gold, der Stuck wurde erst vor zehn Jahren freigelegt. Die Wände nicht weniger pompös, verziert mit Ranken, bemalt mit kleinen Pfeifen oder Büchern. Tropische Landschaften lassen fantasieren, dass hier tatsächlich mal - wie vermutet wird - der Afrikaforscher Gerhard Rohlfs gewohnt hat. Auch wir haben zunächst keinen Blick für den Raum: Während ich an diesem ersten Abend mit meiner Partnerin Mona noch mit den Tücken des Raumes kämpfe, mitunter Tangoscooter tanze und dabei andere Paare leicht anrempele, takten die Kursuspaare langsam über das Parkett. Ein mittelaltes Anfängerpaar übt sich in Ochos, auch Schlittschuhschritt genannt, klein und langsam setzen sie ihre Schritte im gekreuzten System. 'Die einfachen Schritte sind die schwierigsten', sagt Christine Jakob.

Der junge Student kreiselt mit seiner tangomäßig lila bestrumpften Partnerin die schwierige Figur Donna Muorta: Der Herr umkreist die Dame eng gegen Uhrzeigersinn, sie ist sein Sonnensystem, um das er sich dreht. Sie dreht leicht auf der Stelle mit, darf dabei nicht aus der Achse kippen. Ein falscher Schritt und die Frau hängt an dem Herrn wie eine umkippende Litfasssäule. Daran trauen wir uns noch nicht, hier. Lieber die klassischen Schritte: Base, Grundschritt ins Kreuz getanzt; hier und da weit schleifende Ochos - zu weit für den kleinen Raum -; die Partnerin improvisiert einen ersten Übersteiger; Herz an Herz stoppen wir auf der Stelle den 'Herzsprung'; in der Ecke des Raumes, der uns mit seinem abendsonnengelben Stuck fasziniert, drehen wir mit einer Linksdrehung auf Stelle.

Christine Jacob unterbricht uns: 'Was wollt Ihr lernen heute, an welchen Figuren wollt Ihr arbeiten?' Uns fällt nichts ein. 'Wie wäre es mit der Rechtsdrehung?' Sie tanzt es mit ihrem langjährigen Partner Dieter Pundt vor, klein, exakt auf der Stelle getanzt, die Achse der Frau wunderbar ausbalanciert. 'Achte auf den dritten Schritt, da musst Du die Frau eindrehen, dabei aber sicher stehen und Dein Gleichgewicht gut halten.' Verstanden, aber nicht mit den Füßen: Das linke Bein wird durch die Fliehkraft nach außen katapultiert, wir beginnen zu kippen. Ankommen, entspannen, langsam miteinander gehen, die Balance und die Achse spüren, die Ruhe finden. Das sei ihre Tanzphilosophie, erklärt später die gebürtige Bambergerin, die vor 30 Jahren im Club 'Carree' beim alten Bremer Fundamt zum ersten Mal mit dem Tango-Argentino-Fieber infiziert wurde: 'Ich dachte, das wäre deutscher Tango, ein Freund aus Berlin hatte den Tanz mitgebracht.' Nicht das Erlernen kompliziertester Figuren, die ansonsten nur Messi auf dem grünen Rasen tanzt, steht beim Tangolernen im Salon del Norte im Vordergrund. Sondern das Miteinander, das Zusammensein der Tänzer.

'Tango ist ein lebenslanger Weg wie Yoga, ein geistiges und körperliches Bedürfnis', sagt Christine Jacob, die nicht zufällig auch Yoga praktiziert. Im Grunde genommen sei Tango dasselbe wie die asiatischen Körper- und Geistesübungen: Sich selbst in der Umgebung achtsam wahrzunehmen - gesteigert dadurch, dass man das mit einer Partnerin macht.

Nahezu jeden Abend wird in dem 'Schweizer Haus' in der Uthhoffstraße 56 getanzt. Tango Argentino, der sich wesentlich vom deutschen Tanzstundentango dadurch unterscheidet, dass es bei ihm keine vorgeschriebenen Schrittfolgen gibt und er erdiger und zugleich weicher getanzt wird - ein und dasselbe Tangostück wird von jedem Paar ganz anders interpretiert - , und der Modetanz Salsa, der nicht zuletzt durch die alten Herren vom Buena Vista Social Club eine Renaissance erlebte. In der Regel sind es fortlaufende Kurse mit festen Paaren, doch ein Einstieg ist nach Rücksprache möglich. Zwei Mal im Monat läuft ein Einsteigerkursus für Anfänger, jeden ersten Sonnabend im Monat gibt es den offenen Tanzabend, in der Tangosprache Milonga genannt, an dem sich bis zu 60 Milongueros einfinden, der übliche Tangotourismus schwappt sogar Tänzer aus Holland und Kassel in den Nordsalon.

Salon del Norte, Uhthoffstraße 56, Telefon 0421/706593, www.salondelnorte.de; jeden Tag (außer Freitag und Sonnabend) fortlaufende Tango- und Salsakurse (Einstieg nach telefonischer Rückfrage möglich), jeden ersten Sonnabend im offener Tango-Ball (mit Showeinlage); unregelmäßig Musik, Theater und Kleinkunst; Saal auch für Familienfeiern buchbar.

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